Tuesday, May 5, 2009

Theologe aus Überzeugung - Glaubender aus Liebe

Zusammenstellung von Hans-Jürgen Graf
Nürnberg, den 3. Mai 2009

Theologe aus Überzeugung - Glaubender aus Liebe

Dietrich Bonhoeffer, evangelischer Theologe, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, Mitglied der Bekennenden Kirche. Er wurde am 04. Februar 1906 in Breslau geboren und am 09. April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet. Ein Mann, von dem ich zuerst sein bekanntes Gedicht in Liedform kennenlernte. "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag...". Von da an fühlte ich mich mit diesem Menschen tief verbunden. Die Klarheit der Worte, ihre Aussage faszinierten mich sehr und ich fand darin auch meinen Glauben ausgedrückt. Aus diesem Grund möchte ich den Theologen und Glaubenden, Dietrich Bonhoeffer, hier einmal vorstellen.

Mit 24 Jahren bereits habilitiert, wurde Bonhoeffer nach Auslandsaufenthalten in Spanien und New York Privatdozent für Evangelische Theologie in Berlin. Daneben war er Jugendreferent und Mitglied in der Vorgängerorganisation des Ökumenischen Rates. Schon kurz nach Adolf Hitlers Machtergreifung nahm er deutlich Stellung gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung und engagierte sich früh im Kirchenkampf gegen die "Deutschen Christen" und den Arierparagraphen. Ab 1935 war er Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde, das bis 1940 auch illegal weitergeführt wurde. Etwa ab 1938 schloss er sich dem Widerstand um Wilhelm Franz Canaris an. 1940 erhielt er Redeverbot und 1941 Schreibverbot. Am 5. April 1943 wurde er verhaftet und nach zwei Jahren als einer der letzten mit dem 20. Juli 1944 in Verbindung gebrachten Gegner Hitlers hingerichtet.

Bonhoeffer war ein sehr eigenständiger Theologe, der die Bedeutung der Bergpredigt und Nachfolge Jesu besonders betonte und persönlich vorlebte. In seinen Gefängnisbriefen entwickelte er Visionen für eine künftige Ökumene an der Seite der Armen und Gedanken zu einer nichtreligiösen Interpretation von Bibel und Gottesdienst. Den vorhin erwähnten Begriff der "Deutschen Christen" möchte ich noch kurz erläutern:

Die Deutschen Christen (DC) waren eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. Sie wurden 1932 gegründet und gewannen seit Juni 1933 die Leitung einiger Landeskirchen in der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK). Mit ihrer Gleichschaltungspolitik und dem Versuch, durch die Übernahme des Arierparagraphen in die Kirchenverfassung Christen jüdischer Herkunft auszuschließen, lösten sie den Kirchenkampf mit anderen evangelischen Christen aus. Diese gründeten daraufhin 1934 die Bekennende Kirche, die die Deutschen Christen als Häretiker betrachtete und aus der Kirchengemeinschaft ausschloss.

Nach der bestandenen Prüfung nahm Bonhoeffer in Tübingen das Studium der Theologie auf. Seine Familie war von der Wahl seines Studienfachs erstaunt, unterstützte ihn aber in seinem Vorhaben. Zusätzlich hörte er Vorlesungen in Philosophie. In Tübingen schloss er sich der Akademischen Verbindung Igel an. Nach einem Studienaufenthalt in Rom wechselte Bonhoeffer 1924 nach Berlin. Dort begegnete er der Theologie Karl Barths, den er neben Adolf von Harnack zu seinen prägendsten Lehrern zählte. Mit 21 Jahren promovierte er 1927 in Berlin summa cum laude mit der parallel zum Weiterstudium angefertigten Dissertation Sanctorum Communio („Gemeinschaft der Heiligen“). Im Januar 1928 legte er das Erste Theologische Examen vor dem Konsistorium der Berlin-Brandenburgischen Provinzialkirche der Kirche der Altpreußischen Union ab. 1928 wurde er Vikar in der deutschen evangelischen Kirchengemeinde von Barcelona, 1929 Assistent an der Berliner Universität, wo er 24-jährig mit der Schrift „Akt und Sein“ über Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie habilitiert wurde. 1930 legte er das Zweite Theologische Examen ab. Für die Ordination war er noch zu jung, da er das dafür vorgeschriebene Mindestalter von 25 Jahren noch nicht erreicht hatte.

Es folgte ein Jahr als Stipendiat am Union Theological Seminary in New York. Dort lernte er in den Kirchengemeinden Harlems praktische Pastoralarbeit kennen und erlebte die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die besonders die Afroamerikaner und Farmer traf. Obwohl er der US-amerikanischen Theologie skeptisch gegenüberstand, beeinflusste ihn das Social Gospel stark. Veranlasst durch kritische Rückfragen der Amerikaner sowie den strikten Pazifismus seines französischen Mitstudenten Jean Lasserre begann der bis dahin in politischen Fragen zurückhaltende Bonhoeffer sich mit dem Thema Frieden auseinanderzusetzen.

Entgegen der weit verbreiteten Euphorie unter den Protestanten nahm Bonhoeffers Familie die Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 sehr kritisch wahr. Sein Vater Karl sagte dazu sofort: „Das bedeutet Krieg.“ Am 1. Februar 1933 hielt Bonhoeffer den Radiovortrag Wandlungen des Führerbegriffes. Er sagte darin primär an die Adresse seiner von der „nationalen Revolution“ begeisterten Mitchristen:

„Lässt der Führer sich vom Geführten dazu hinreißen, dessen Idol darstellen zu wollen – und der Geführte wird das immer von ihm erhoffen –, dann gleitet das Bild des Führers über in das des Verführers … Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes.“

Die Rundfunkübertragung wurde aufgrund dieser unmissverständlichen Kritik am nationalsozialistischen „Führerprinzip“ und Hitlerkult abgebrochen. Durch seinen engen Freund und Mitpfarrer Franz Hildebrandt und seinen Schwager Gerhard Leibholz, beide jüdischer Herkunft, erlebte Bonhoeffer die Folgen der nationalsozialistischen Judenverfolgung von Beginn an unmittelbar mit. Er wusste früh, dass diese Situation ihm alles abverlangen würde. Das, was ihn im Studium, dann von Katheder und Kanzel herab beschäftigt hatte – Christi reale Gegenwart in der Kirche und die persönliche Nachfolgepraxis – wurde nun schneller als erwartet erschreckend konkret für ihn. Er hatte schon 1932 in einer Predigt hellsichtig gesagt:

„… dann müssen wir uns nicht wundern, wenn auch für unsere Kirche wieder Zeiten kommen werden, wo Märtyrerblut gefordert werden wird. Aber dieses Blut, wenn wir denn wirklich noch den Mut und die Ehre und die Treue haben, es zu vergießen, wird nicht so unschuldig und leuchtend sein wie jenes der ersten Zeugen. Auf unserem Blute läge große eigene Schuld: Die Schuld des unnützen Knechtes, der hinausgeworfen wird in die Finsternis.“

Bonhoeffer grenzte sich damit bewusst von den meisten Mittheologen ab, die allenfalls die Kirchenmitgliedschaft der Judenchristen als Problem sahen, und erhob die Verteidigung der Menschenrechte überhaupt zur gesamtkirchlichen Pflicht. Dabei hoffte er damals noch auf ein gemeinsames, vom Glaubensbekenntnis bestimmtes Handeln der Ökumene. Doch dieser Konzilsgedanke war seinen lutherisch geprägten Hörern ebenso fremd wie die unter Umständen zu politischem Widerstand für die Juden nötige Christusnachfolge. Damit nahm Bonhoeffer das Hauptproblem der 1934 gegründeten Bekennenden Kirche schon vorweg: Ab wann ist die Kirche von ihrer eigenen Botschaft her genötigt, dem Staatshandeln nicht nur für den eigenen Bereich zu widersprechen, sondern insgesamt zu widerstehen? Während die meisten „Bekennenden Christen“ fast nur die getauften Juden in den eigenen Reihen gegen Staatsübergriffe verteidigten, trat Bonhoeffer von Beginn an für das gesamte verfolgte Judentum ein. Damit war er auch den Bekennern gedanklich und praktisch so weit voraus, dass ihm die wenigsten folgen konnten. Als er dies später erkannte, entschied er sich in voller individueller Verantwortung für den direkten Widerstand gegen das NS-Regime. Ab Juni 1933 überstürzten sich die Ereignisse in der evangelischen Kirche: Eine Mehrheit der Deutschen Christen (DC) in der Preußischen Landeskirche setzte die Generalsuperintendenten dort ab und einen Staatskommissar, August Jäger, ein. Hitler ernannte Ludwig Müller zu seinem Vertrauensmann für Kirchenfragen, die DC versuchten ihn zum Reichsbischof zu machen. Bonhoeffer richtete nun alles Augenmerk auf die Bildung einer wirksamen evangelischen Opposition. Er schlug einen Beerdigungsstreik bis zum Rücktritt des Staatskommissars vor, den jedoch niemand für möglich hielt (doch in Norwegen führte dieses Mittel 1941 tatsächlich zur Rücknahme staatlicher Übergriffe der NS-Besatzer).

Nach dem erdrutschartigen Wahlsieg der DC (ca. 70 Prozent Stimmenanteile) gegen die Jungreformatorische Bewegung bei den vom Staat kurzfristig anberaumten Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 versuchten verschiedene Gruppen, die neuen Amtsinhaber ihrer Kirchen mit „Bekenntnissen“ zur Stellungnahme über ihren Glauben zu zwingen. Dazu erhielt Bonhoeffer zusammen mit dem Erlanger Theologen Hermann Sasse den Auftrag, einen reichsweit einheitlichen Bekenntnisentwurf zu formulieren. Der damalige Betheler Dozent für Altes Testament, Wilhelm Vischer, formulierte den Erstentwurf des Artikels über die „Judenfrage“. Der gemeinsame Entwurf erschien Ende August 1933 und wurde von Pfarrer Bodelschwingh, dem anerkannten Leiter der Betheler Anstalten, an 20 Gutachter versandt. Diese entschärften den Text dann vor allem bezüglich des kirchlichen Eintretens für die Juden gegen den Staat aus Bonhoeffers Sicht so weit, dass er schließlich die Unterzeichnung ablehnte. Dennoch war das Betheler Bekenntnis ein wichtiger Schritt zur Gründung der Bekennenden Kirche im Mai 1934. Nach der Einführung des Arierparagraphen in der evangelischen Kirche auf der altpreußischen Generalsynode am 6. September 1933 in Berlin schlug Bonhoeffer den oppositionellen Pfarrern den Austritt aus der zum Staatsanhängsel gewordenen Kirche vor, deren Verfassung er nun als Häresie ansah. Er fand jedoch damals noch kaum Zustimmung für eine Kirchenspaltung; selbst Karl Barth sah noch Möglichkeiten einer innerkirchlichen Opposition. Daraufhin gründete Bonhoeffer mit Martin Niemöller und anderen den Pfarrernotbund zum Schutz der bedrohten Amtsbrüder jüdischer Herkunft. Er verfasste für dessen Mitglieder die erste Version einer Selbstverpflichtung, die bereits die Bereitschaft zum Martyrium und den Alleinvertretungsanspruch auf die wahre Kirche einschloss. Der Notbund bildete das organisatorische Bindeglied zwischen der nach ihrer Wahlniederlage abbröckelnden jungreformatorischen Bewegung und der nun entstehenden Bekennenden Kirche. Danach nahm Bonhoeffer an einem Treffen der Ökumene in Sofia teil, wo er die Auslandsvertreter umfassend über die deutschen Vorgänge und Hintergründe informierte. Vor der Wahl Ludwig Müllers zum Reichsbischof am 27. September 1933 entwarf er ein deutlich formuliertes Flugblatt "Der Arierparagraph in der Kirche"; nachts plakatierte er mit Freunden noch Protestplakate an Bäume und Laternen.

Nachdem die Gestapo am 17. März 1940 das letzte Sammelvikariat auf dem Sigurdshof schloss – die Arbeit in Köslin war schon im Herbst 1939 zu Ende gegangen –, und am 14. Juli eine von Bonhoeffer geleitete Freizeit polizeilich aufgelöst wurde, führte er Gespräche mit Hans Oster und seinem Schwager Hans von Dohnanyi über eine „Unabkömmlichstellung“ (UK-Stellung) für Abwehraufträge. Seine aus der ökumenischen Bewegung bestehenden Kontakte sollte Bonhoeffer für die Verschwörer nutzen, um mit den Alliierten Verhandlungen einzuleiten. Bonhoeffer war also nicht an der Planung der Attentate selbst beteiligt, sondern diente als Verbindungsmann, offiziell im Auftrag der Abwehr. Am 22. August 1940 erhielt Bonhoeffer „wegen seiner volkszersetzenden Tätigkeit“ Redeverbot „für das gesamte Reichsgebiet“. Ein Verbot schriftstellerischer Tätigkeit folgte im März 1941. Die nun in Gang kommende systematische Judenverfolgung und andere Grausamkeiten der Regierung bewegten Bonhoeffer zu einer Neubewertung der Situation. In seinem Elternhaus trafen sich eine Reihe von Gegnern des nationalsozialistischen Regimes, die teilweise hohe Positionen innerhalb der Abwehr oder der Wehrmacht innehatten; diese Personen beabsichtigten, Hitler durch ein Attentat umzubringen. Bonhoeffer schloss sich diesem Widerstandskreis nach langem Bedenken an. Die Frage des Tyrannenmordes -Darf ein Christ gegen das Gebot „Du sollst nicht morden“ verstoßen?- beschäftigte ihn zutiefst; seine Gedanken zu dieser Fragestellung finden sich im Buch Ethik wieder, an dem er vor allem im September und Oktober 1940 in Klein-Krössin arbeitete.

Zu den bis heute von den Kirchen so nicht nachgesprochenen Passagen der Ethik Bonhoeffers gehört ein an den Zehn Geboten orientiertes Schuldbekenntnis, das seine Erfahrungen mit dem Versagen der Bekennenden Kirche gegenüber der Judenverfolgung seit 1933 spiegelt und stellvertretend dafür Verantwortung übernimmt:

„Das Bekenntnis der Schuld geschieht ohne Seitenblick auf die Mitschuldigen. Es ist streng exklusiv, indem es alle Schuld auf sich nimmt. […] durch nichts anderes bezwingt uns Christus stärker als dadurch, daß er unsere Schuld bedingungslos und vollständig auf sich nahm, sich für schuldig erklärte an unserer Schuld und uns frei ausgehen ließ. Der Blick auf diese Gnade Christi befreit gänzlich vom Blick auf die Schuld der anderen […] Mit diesem Bekenntnis fällt die ganze Schuld der Welt auf die Kirche, auf die Christen, und indem sie hier nicht geleugnet, sondern bekannt wird, tut sich die Möglichkeit der Vergebung auf.[…]“

„Es ist zunächst die ganz persönliche Schuld des Einzelnen, die hier als vergiftende Quelle der Gemeinschaft erkannt wird. […] Ich bin schuldig des ungeordneten Begehrens, ich bin schuldig des feigen Verstummens, wo ich hätte reden sollen, ich bin schuldig der Heuchelei und der Unwahrhaftigkeit angesichts der Gewalt, ich bin schuldig der Unbarmherzigkeit und der Verleugnung der Ärmsten meiner Brüder, ich bin schuldig der Untreue und des Abfalls von Christus. […] Diese vielen Einzelnen schließen sich ja zusammen in dem Gesamt-Ich der Kirche. In ihnen und durch sie erkennt die Kirche ihre Schuld.“

„Die Kirche bekennt, ihre Verkündigung von dem einen Gott, der sich in Jesus Christus für alle Zeiten offenbart hat und der keine anderen Götter neben sich leidet, nicht offen und deutlich genug ausgerichtet zu haben. […] Sie hat dadurch den Ausgestoßenen und Verachteten die schuldige Barmherzigkeit oftmals verweigert. Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie. […] Die Kirche bekennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Haß und Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie zu erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie ist schuldig geworden am Leben der schwächsten und wehrlosesten Brüder Jesu Christi. […] Die Kirche bekennt, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre, auf die sie keinen Anspruch hatte, und so die Begierden der Menschen nicht gezügelt, sondern gefördert zu haben. Die Kirche bekennt sich schuldig des Bruchs aller zehn Gebote, sie bekennt darin ihren Abfall von Christus. […] Durch ihr eigenes Verstummen ist die Kirche schuldig geworden an dem Verlust an verantwortlichem Handeln, an Tapferkeit des Einstehens und der Bereitschaft, für das als recht Erkannte zu leiden. Sie ist schuldig geworden an dem Abfall der Obrigkeit von Christus.“

„Ist das zuviel gesagt? War denn nicht die Kirche nach allen Seiten gehindert und gebunden? Stand nicht die ganze weltliche Gewalt gegen sie? Durfte denn die Kirche ihr Letztes, ihre Gottesdienste, ihr Gemeindeleben gefährden, indem sie den Kampf mit den antichristlichen Gewalten aufnahm? So spricht der Unglaube … Das freie Schuldbekenntnis ist ja nicht etwas, daß man tun oder auch lassen könnte, sondern es ist der Durchbruch der Gestalt Jesu Christi in der Kirche, den die Kirche an sich geschehen läßt oder sie hört auf, Kirche Christi zu sein. […] Indem die Kirche ihre Schuld bekennt, entbindet sie die Menschen nicht von eigenem Schuldbekenntnis, sondern sie ruft sie in die Gemeinschaft des Schuldbekenntnisses hinein. Nur als von Christus gerichtete kann die abgefallene Menschheit vor Christus bestehen. Unter dieses Gericht ruft die Kirche alle, die sie erreicht"

Zur Jahreswende 1942/43 schrieb Bonhoeffer einen sehr persönlichen Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre, in denen sein Widerstand gegen den NS-Terror reifte und ihm zu bleibenden Erkenntnissen über christliche Lebenshaltung verhalf. Er thematisierte Zivilcourage, Ehrlichkeit und den „Blick von unten“ aus der Perspektive der Opfer einer gewalttätigen Gesellschaft. In seiner Betrachtung der im Widerstand erlernbaren Alltagstugenden hieß es:

„Man muß damit rechnen, daß die meisten Menschen nur durch Erfahrungen am eigenen Leibe klug werden. […] Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden.“
An hervorgehobener Stelle stand sein individuelles Glaubensbekenntnis:

„Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und daß es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

Bonhoeffer hatte am eigenen Leib gelernt, dass das Geheimnis der Freiheit nur der entdecken kann, der Selbstbeherrschung, Wagnis des Eingreifens, Hingabe und Annahme von Leiden und Tod aus Gottes Hand in seinem Lebenslauf erfährt. Der Satz „Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit“ wandte sich gegen alle lutherischen, pietistischen und liturgischen Rückzüge aus dem politischen Gottesdienst, wie sie damals etwa die Alpirsbacher und die Berneuchener Bewegung vertraten. In die gleiche Richtung zielt Bonhoeffers lediglich mündlich überlieferter Satz: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Am 17. Januar 1945 schrieb Bonhoeffer den letzten Brief an seine Eltern. Am 7. Februar wurde er in das KZ Buchenwald verlegt, wo er den britischen Mitgefangenen Payne Best kennen lernte. Am 5. April 1945 ordnete Adolf Hitler die Hinrichtung aller noch nicht exekutierten „Verschwörer“ des 20. Juli 1944 an und damit auch die Dietrich Bonhoeffers. Ein SS-Gericht, oft fälschlich als Standgericht bezeichnet, verurteilte daraufhin – neben Dietrich Bonhoeffer – Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Gehre am 8. April 1945 zum Tode durch den Strang. Der Prozess war ein reiner Scheinprozess, um dem Mord das Mäntelchen des Justizförmigen umzuhängen; die Prozessakten gegen Bonhoeffer, die bei einem Bombenangriff auf Berlin verbrannt waren, lagen nicht vor. Ankläger war Walter Huppenkothen, der zuvor bereits in einem flüchtigen Standgericht den halb besinnungslos auf einer Trage liegenden von Dohnanyi, den Schwager Dietrich Bonhoeffers, zum Tode verurteilen ließ. Richter über Bonhoeffer war Otto Thorbeck, Inhaber der Chefrichterstelle beim SS- und Polizeigericht in München (schon 1941 aus dem regulären Justizdienst ausgeschieden), der als Vorsitzender amtierte. Beisitzer waren der Kommandant des KZ Flossenbürg Max Koegel und eine weitere unbekannte Person. Verteidiger waren nicht anwesend, Zeugen wurden nicht vernommen. Die Verhandlung fand ohne Protokollführer statt; eine neue Akte wurde nicht angelegt. Huppenkothen und Thorbeck wurden 1956 wegen des Flossenbürgverfahrens vom BGH lediglich wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Bevor Bonhoeffer zur Hinrichtung am 8. April in das KZ Flossenbürg gebracht wurde, trug er Payne besondere Grüße an Bischof Georg Bell auf, falls er seine Heimat erreichen sollte, und sagte zum Abschied nach Paynes Erinnerung:

„Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens. (tell him that this is for me the end, but also the beginning – with him I believe in the principle of our Universal Christian brotherhood which rises above all national hatreds and that our victory is certain – tell him, too, that I have never forgotten his words at our last meeting.“

Zur Erniedrigung der Angeklagten und Belustigung des SS-Personals mussten sich alle zur Hinrichtung Bestimmten zuvor völlig entkleiden und nackt zum Galgen gehen. Der Lagerarzt beobachtete die Szene und berichtete später, Bonhoeffer habe völlig ruhig und gesammelt gewirkt, sich von allen Mithäftlingen verabschiedet und ein kurzes Gebet gesprochen. Der Bericht des Lagerarztes wurde kurz vor dessen eigenem Tod 1955 schriftlich Wolf-Dieter Zimmermann mitgeteilt und ist in dessen Buch "Begegnungen mit Dietrich Bonhoeffer" veröffentlicht worden. Mittlerweile gilt als gesichert, dass dieser Bericht nicht authentisch ist. Es muss zudem davon ausgegangen werden, dass Dietrich Bonhoeffer und die übrigen Verurteilten einen langen und qualvollen Tod erdulden mussten.

Dietrich Bonhoeffer wurde in der Morgendämmerung des 9. April 1945 erhängt.
Quelle: www.wikipedia.de

Stationen auf dem Wege zur Freiheit von Dietrich Bonhoeffer

Zucht. Ziehst Du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem Zucht der Sinne und deiner Seele, daß die Begierden und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen. Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen, und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist. Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht. Tat. Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen. Leiden. Wunderbare Verwandlung. Die starken, tätigen Hände sind dir gebunden. Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden. Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit, dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende. Tod. Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern unsres vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele, daß wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.
Von guten Mächten wunderbar geborgen...
von Dietrich Bonhoeffer

„Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr; noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das Du uns geschaffen hast. Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand. Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann woll’n wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört Dir unser Leben ganz. Laß warm und hell die Kerzen heute flammen die Du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang. Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.“




Text: Dietrich Bonhoeffer
Musik: Jugendband
Diashow: Hans-Jürgen Graf (Autor)

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